Konzept

AN DER SCHWELLE ZWISCHEN MALEREI UND PLASTIK
ANMERKUNGEN ZU MANSOUR NOSRAT-NEZAMIS ARBEITEN

DR.-PHIL. PRAVU MAZUMDAR

Mansour Nosrat Nezami Malerei, Nürnberg

Das Bild wölbt sich dem Auge entgegen und zieht den Blick in sich hinein. Es ist nicht mehr nur ein Zusammenhang aus Farbe und Linie, sondern eine Formation unterschiedlicher Objekte, die Form und Material zu Kräften verbinden, als Kraftzentren zueinander finden und das Bild als eine schrittweise aufgeladene Oberfläche erzeugen, die irgendwann die Kraft zur Unterscheidung erreicht, sich vom Boden des Bildträgers zu lösen scheint und in den Zwischenraum zwischen Bild und Betrachter gelangt.

Als Ausgang dienen rahmenartige Bildträger aus Pressholzplatten mit Kanten aus Naturholz von genau bemessener Höhe. Darauf sind dicht nebeneinander stehende Bambusrohrabschnitte angebracht, die an ihren Enden auf die Platten geklebt sind. Sofern sie von unterschiedlichem Durchmesser sind, erzeugen die Bambusstöcke den optischen Effekt von Oberflächenmustern, die zuweilen an die Dichte und Schönheit von Reptilienhäuten erinnern. Sofern sie aber unterschiedlich lang gesägt sind, ermöglichen sie, dass das Bild die Trägerfläche zu verlassen scheint und skulptural in den es umgebenden Raum hinausragt. Somit wirken die Bilder wie die Luftaufnahmen dichter und von einer überdimensionalen Schere frisierten Bambushaine. Zwischendurch finden sich zusammengerollte Stücke bunter Wolle in die Rohre gesteckt, so dass man den Eindruck von Farbtupfern hat, die die Ästhetik der Bilder – neben dem graphischen Effekt einer gemusterten Oberfläche und der Plastizität der Wölbungen – um eine weitere Dimension verkomplizieren. Insgesamt hat man also den Eindruck eines Dingbilds: eines plastisch in den Raum greifenden Bildes aus Linien und Farben, die im Zuge einer präzisen Zusammenführung von Dingen wie Bambusrohren und Wolle „gemalt“ wurde.

Auf diese Weise unterzieht Mansour Nosrat-Nezami seit Jahren das Geheimnis der Malerei einer grundlegenden und radikalen Reflexion. In seinen älteren Arbeiten ging es um die Hervorhebung der Linie, bis diese förmlich aus der Fläche der Leinwand herausspringt und das Bild als eine Collagierung der eigenständig gewordenen Dimensionen von Fläche und Linie erscheint. Eine derartige Auseinanderlegung und Auflockerung der dimensionalen Elemente der Malerei offenbart eines ihrer Mechanismen. In seinen neueren Arbeiten wird ein anderer Aspekt von Malerei unter die Lupe genommen. Einerseits wird hier die Linie nicht mehr bis zur Dinglichkeit betont, sondern besteht nur noch als optischer Effekt aus den luftigen Abständen zwischen den Bambusstöcken. Anderseits aber scheint hier das gesamte Bild in dem Augenblick eingefroren zu sein, in dem es im Begriff ist, die Oberfläche des Bildträgers zu verlassen und als eigenständige Oberfläche hervorzutreten.

Damit zeigt sich, dass das Bild nicht anders funktioniert als die Kleidung in ihrer ästhetischen Rolle im Rahmen etwa der Mode: Es ist eine Oberfläche, die eine andere zudeckt. Deshalb ist es wohl kein Zufall, dass Mansour Nosrat-Nezami seit vielen Jahren als Maler und Moderschöpfer beide Verfahren des Zudeckens, die fast so alt sind wie die Menschheit selbst, erforscht. Seine neueren Werke vermitteln einen Eindruck vom eigentümliche Drama des Bildgeschehens, das eine ganze Bandbreite an Kräfteverhältnissen zwischen zwei Oberflächen sichtbar macht. Am einen Ende des Spektrums kann man sich etwa die weißen Bilder eines Robert Ryman vorstellen. Da schmiegt sich das Bild an die Trägerfläche und scheint fast verschwunden zu sein, während das unterschiedlich nuancierte Weiß nur noch auf die Plastizität einer bespannten Leinwand verweist. Am anderen Ende erlebt man ein Bild, das wie bei Nosrat-Nezami im Begriff ist, die Oberfläche des Bildträgers zu verlassen und als eigenständige Oberfläche zu erscheinen.

Daraus folgt ohne Umschweife auch die philosophische Konsequenz, dass man die Welt nicht unbedingt als einen wesenhaften Abgrund ausmalen muss, den eine Oberfläche aus bunten und wensenslosen Erscheinungen zudeckt – was etwa in alltäglichen Wertungen wie „oberflächlich“ oder „tief“ zum Ausdruck kommt. Man kann die Welt auch als einen Zusammenhang aus Schichten ansehen, von denen die eine oder die andere plötzlich wie ein Vorhang weggezogen werden kann, um die darunter liegende zu offenbaren. Das wäre eine Welt ohne Tiefe, in der jede Oberfläche ein Bild und jedes Bild eine Oberfläche wäre, die eine weitere zudeckt und in ausgesuchten Augenblicken vor unseren verzückten Augen zurückweichen kann, um eine bis dahin unvermutete Schicht neuer und neuartiger Phänomene aufscheinen zu lassen. Man kann Mansour Nosrat Nezamis Arbeiten durchaus in den Horizont eines solchen ‚Weltbildes’ einbetten.